urban assemblage

Stadtkultur möbliert

Pressetext von Kathrin Spohr

Virtuelle Design Statements

Unter dem Titel „Urban Assemblage“ entwirft Tim Kerp Konzeptmöbel. Stuhl, Tisch, Bank oder Sideboard sind jedoch nicht physisch im Raum nutzbar. Der Designer macht seine Möbel, die unterschiedlichste urbane Szenerien thematisieren, als perfektionierte digitale Produktvisualisierung erlebbar. Nicht ohne Grund. Denn für Kerp hört die Geschichte, die er erzählen möchte, erst einmal mit dem Bild auf: „Weil ich dem Betrachter lediglich eine neue Sichtweise auf das städtische Umfeld vermitteln möchte“, sagt er.

Jedes Möbel trägt seinen ganz eigenen Titel: Das Wasser von Köln, eine Vase. In der Linie 18, ein Stuhl. Oder etwa Mühlheimer Brücke, eine Sitzbank.

An diesen Titeln lässt sich bereits der besondere Anspruch hinter den Entwürfen ablesen. Und Köln Kenner ahnen, welche Szenarien der Stadt Pate stehen. So ist eine Kollektion von zehn individuellen Konzeptmöbeln entstanden, eine Art urbane Betrachtung, die erweitert werden kann – auch auf andere Städte.

Ein Portrait des kölner Designer Tim Kerp

Tim Kerp

Tim Kerp wurde 1980 in Köln geboren. Nach einer Lehre zum Grafiker hatte er an der FH Aachen Produkt- und Interiordesign studiert. Seit 2009 lebt und arbeitet er wieder am Rhein, nun mit einem eigenen Studio – mit dem Schwerpunkt „Wohn- und Stadtmöbel“. Seit 2017 gehört er zur Gruppe „Generation Köln“, einem von Sabine Voggenreiter (Passagen) angestoßenen Ausstellungsformat.

Architektonische Szenarien treffen ungezwungenes Möbeldesign

Die Ideen zu den einzelnen Möbeln orientieren sich weder, wie sonst im Möbeldesign üblich, am Wunsch, bestimmte funktionale Aspekte zu optimieren. Noch daran, aktuelle Interiortrends zu bedienen. Stattdessen selektiert Kerp urbane Szenarien und nutzt diese als Inspiration. Es ist sein ganz persönlicher Fokus: Für ihn bedeutsame Architekturen, besondere gestalterische Elemente, markante Situationen und Stationen der Kölner Stadtkultur werden zu detailliert ausgearbeiteten Möbelvisualisierungen interpretiert, die Statement-Charakter haben.

Rückkoppelung auf das urbane Umfeld

Etwa das Kölner 4711-Firmengebäude mit seiner prägnanten, rasterartigen Fassade in Gold und Türkisblau hat Tim Kerp dazu bewegt, ein Sideboard zu entwerfen. Es trägt den Titel „Der Duft der Stadt“ und ist genauso markant. Und ebenfalls gold und türkis gestaltet. Oder der Tisch Kritische Masse: Er ist entstanden aus der persönlichen Auseinandersetzung mit der Verkehrssituation in Köln. Radfahrer vs Autofahrer. Autofahrer vs Radfahrer. „Als leidenschaftlicher Radfahrer ist der Kölner Absperrbügel, die so genannte „Haarnadel“, ein mir sehr vertrautes Objekt. Die Kugel innerhalb des Bügels soll verhindern das das Fahrradschloss nicht auf den Boden hinunter rutscht.“, so Kerp.  Er nutzt sie in der umgedrehten Version als Tischbein. Dabei wirkt die Kugel wie Zierde. „Ich denke, das Köln mehr für die Verkehrswende tun könnte, daher habe ich das Thema in einem Möbel umgesetzt.“

So offenbaren die Möbel weit mehr als eine Perspektive des Designers: Betrachter werden dazu angeregt, etwas an einer Stadt neu zu entdecken. Denn in jedem Objekt stecken kleine Details, die spannende Erkenntnisse enthalten.

So kann sein aktuellstes Projekt, die Sitzbank „Mühlheimer Brücke“, auch als Reise in Konstruktionswissen gelesen werden: Schon lange war Tim Kerp klar dass er eine der sieben Kölner Brücken als Sitzbank umsetzen wollte. Was am Format liegt und der Art, wie sie konstruiert sind. „Zwischen Brücken und Sitzbänken gibt es große Parallelen. Im Rahmen meiner Recherche zu den Brücken bemerkte ich, dass die Mühlheimer Brücke als erste in patinagrünen Farbe gestrichen, das später als Kölner Brückengrün bekannt wurde. Ein im Kölner Stadtbild wiederkehrender Farbton.“ Damit nicht genug. Die Mühlheimer Brücke ist auch die erste Brücke Deutschlands mit orthotroper Fahrbahnplatte. Eine Art überdimensionales Wellblech, welches die Fahrbahn stabilisiert. – Diese Bauweise hat Kerp für seine digitale Sitzbank übernommen.

Zeitgemäße Perspektiven

Bei seiner „Urban Assemblage“ dient Tim Kerp die Disziplin Mediendesign sinnbildlich als Schere, Kleber und Sockel. Markante Farben, Formen und Materialien des Kölner Stadtbildes werden wie Fragmente in virtuellen Darstellungen zu neuen Objekten arrangiert.

Die Geschichten, welche die virtuellen Möbel des Designers initiieren, sind vielschichtig. Sie sensibilisieren unseren Blick für das individiuelle Umfeld und die damit verbundene Objektkultur. Die Motivation des Kölner Designers für die „Urban Assemblage“ sind aber auch umfassende Gedanken zu Design, Architektur, Kultur in der globalen Welt und greifen zeitgemäße Fragestellungen auf: Müssen wir in Zeiten von Klimaproblematik und Überfluss überhaupt Dinge besitzen? Warum soll man heute etwas gestalten, was sich gut verkauft? Werden künftig digitale Objekte genauso gehandelt wie physische? – „Mich beschäftigt schon immer die Frage der Identität und Sinnhaftigkeit von Dingen“, erklärt Kerp. Nach welchen Kriterien er die architektonischen Szenarien auswählt? „Ich muss das Gefühl haben, dass es mit mir kommuniziert.“

Derzeit umfasst die Kollektion zehn digitale Konzeptmöbel. Kerp will die Kollektion erweitern, die dann nicht nur das Stadtbild von Köln im Visier hat. Kerp: „Urban Assemblage“ ist skalierbar und offen für weitere Aspekte und Szenarien anderer Städte.“

Außerdem hat Tim Kerp in einem nächsten Schritt ein Wohnzimmer gestaltet, indem seine Möbel der „Urban Assemblage“ zusammen präsentiert werden. Mit dieser Inszenierung, die ebenfalls auf seiner Website www.urban-assemblage.de zu sehen ist, will er erforschen, wie die einzelnen Konzeptmöbel miteinander interagieren.

Ausgestellt

09/2021 – EdBaima, Urban Design Parcours
01/2019 – Bunker am Bahngleis, Passagen